Buchbesprechung Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz
Michael und Elisabeth Buback – „Der General muss weg!“
Osburg Verlag Hamburg 2020 ISBN 978-3-95510-211-1

„Cold Cases“ sind ein wichtiges Arbeitsfeld der Ermittlungsbehörden. Allein in Niedersachsen arbeiten inzwischen vier Einheiten der Polizei daran, 341 ungeklärte Tötungsdelikte und Vermisstenfälle aufzuklären. Moderne Forensik ist in der Lage, schon geringste Spuren zu analysieren, z.B. Täter-DNA. Dazu gehen die Beamten ins Archiv und holen sich die Fundstücke, die seinerzeit am Tatort sichergestellt wurden. Dann beginnt die Suche nach verwertbaren Spuren. Zahlreiche „kalte“ Fälle wurden auf diese Weise wieder „brandheiß“. Alte Täter können mit neuer Technik präzise er-mittelt werden. Die Bundesanwaltschaft beschritt in ihrem wichtigsten Fall in den letzten Jahren allerdings einen komplett anderen Weg. Sie versuchte, den ihr zu heiß gewordenen Fall der Ermordung ihres ehemaligen Chefs mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln wieder abzukühlen. Und genau das haben Michael Buback, Sohn des Ermordeten und seine Frau Elisabeth verhindert:

Am 7. April 1977 wird Generalbundesanwalt Siegfried Buback in Karlsruhe auf offener Straße von einem RAF-Kommando erschossen. Die Mörder sitzen auf einem Motorrad. Zahlreiche Bürger sehen das Verbrechen. Es werden jedoch nur wenige Zeugen vor Ort angesprochen oder verhört. Schon nach kurzer Zeit wird die Kreuzung wieder freigegeben. Zeugen sehen einen Polizeihubschrauber am Tatort. Diejenigen, die freie Sicht haben, erkennen eine zierliche Person auf dem Rücksitz der schweren Suzuki. Die erste offizielle Verlautbarung spricht von einer Frau als möglicher Täterin. Doch schon am nächsten Tag ist offiziell nur noch von männlichen Tätern die Rede. Am 3. Mai 1977 wird RAF-Mitglied Verena Becker nach einer Schießerei mit Polizeibeamten in Singen festgenommen. Sie hat die Mordwaffe bei sich. Eine HK 43, eine typische Behördenwaffe. Weiterhin die Munition, mit der in Karlsruhe geschossen wurde und einen Suzuki-Schraubendreher. Dieser fehlt am Tatmotorrad, das die Polizei noch am Tattag findet. Wo die Täter auf einen Alfa Romeo umstiegen, wird eine Fußspur der Größe 40 gesichert. Keiner, der „offiziellen“ Täter hat so kleine Füße. Verena Becker indes trägt Schuhe der Größe 40. Später findet man im Helm sogar eine Haarspur von ihr. 2007, also 30 Jahre nach dem Mord, erfährt Michael Buback, Professor für Chemie an der Universität Göttingen, dass fast alle „offiziellen“ Verlautbarungen zum Attentat auf seinen Vater nicht stimmen. Keiner der für den Mord verurteilten Täter war am Tatort. Das Archiv ist leer. Der Wagen, in dem sein Vater erschossen wurde, das Tatmotorad, der Fluchtwagen der Täter - weg. Zeugenaussagen verkürzt, verdreht oder weg. Teile der Protokolle gesperrt, geschwärzt oder weg. Das „offizielle“ Ermittlungschaos könnte größer nicht sein. Zusammen mit seiner Frau, Tochter eines Bundesanwaltes, beginnt Michael Buback, die Tat akribisch aufzuarbeiten. Nachdem er in einem Buch und einer erweiterten Taschenbuchversion seine Erkenntnisse veröffentlicht hat, ist der Druck auf die Bundesanwaltschaft so groß, dass offiziell Anklage gegen Verena Becker erhoben wird. 2010 beginnt der Prozess vor dem OLG Stuttgart. Michael Buback ist Nebenkläger.

Das neue Buch beginnt mit einer ausführlichen Beschreibung des Lebens von Siegfried Buback, sowie des politischen Umfelds zu seiner Zeit als Chef der Bundesanwaltschaft. Auch der Generalbundesanwalt ist in Deutschland politisch weisungsgebunden. Buback sah sich, wie er selbst kurz vor dem Attentat einem Freund schrieb, „mit dem Rücken zur Wand“. Teil zwei behandelt den Pro-zess. Die Eheleute teilen sich die Beschreibung des Geschehens. Elisabeth Buback schrieb präzise Wortprotokolle - offizielle Protokolle oder Tonmitschnitte existieren nicht. Ihre Beschreibungen des Prozesses - im Schriftbild gekennzeichnet - vermitteln einen dichten Eindruck von der gespenstischen Atmosphäre im Gerichtssaal. Dort gibt Bundesanwalt Walter Hemberger den Ton an, von Richter Wieland ungebremst. Hemberger, Prototyp eines politisch gesteuerten Beamten, agiert als zweiter Verteidiger von Verena Becker. Er versucht sich zudem als Nebelwerfer und beleidigt Zeugen, die nicht die „offizielle“ Version stützen. Auf dem Flur vor dem Gerichtssaal betreut Hemberger „linientreue“ Journalisten, wie ich selbst erlebte. Michael Buback weist derweil das Gericht auf manipulierte Akten hin - nicht nur des Verfassungsschutzes. Die Tatsache, dass Verena Becker geheime Informantin desselben war, macht den Fall noch brisanter. Was die Eheleute an Fakten gesammelt haben, ermöglicht es dem Leser unschwer, sich selbst ein Urteil zu bilden. Stoff für einen Thriller allemal. Man darf gespannt sein, ob sich ein Sender traut, dies Projekt anzugehen.
Die Ermordung Siegfried Bubacks bleibt bis zur Öffnung der gesperrten Akten ein „Hot Case“.

Peine, den 6. Januar 2020 www.hans-joachim-selenz.de